Lappland

Ich weiss schon garnicht mehr wie viele Blitzer es waren, die wir auf der Fahrt von Turku bis fast zum 821 Breitengrad gesehen haben.Wir haben die mehr als tausend Kilometer von Mäntyluoto, wo wir Zwischenstopp machten, bis hier her zurück gelegt. Alles an einem Stück. Fast nur gerade aus. Über verschneite und vereiste Straßen.
Nun sitze ich vorm Zelt, welches eigentlich nur für Notfälle gedacht war. Aber irgendwie sind wir schon am Anfang falsch abgebogen.Dann wollten wir alles wieder gut machen, indem wir querfeld ein liefen. Durch Tiefeschnee, welcher trotz Schneeschuhe immer noch bis zu den Knien reichte. Und dann noch die beiden schwer beladenen Pulkas. Nachdem klar wurde,dass wir so unsere Hütte für heute nicht mehr erreichen werden, hieß es Lager aufbauen.
Sonderlich kalt ist es nicht, so um die -7°C. Aber frieren werden wir zu fünft (+gepäck – das was nicht einfrieren soll) in einem Viermannzelt sicher nicht.

Wie nicht anders zu erwarten war, hat sich das Zelt in eine Tropfsteinhöhle verwandelt. Richtig gut hat keiner geschlafen und das nach fast einer Flasche “Stroh 80”. Also erst einmal aus Schnee Wasser für denn Kaffee machen. Anschliessend alles zusammenpacken, verladen und eine Spur mit Hilfe von Karte und Kompass durch den Wald ziehen. Nach nur einer halben Stunden erreichen wir endlich wieder einen von Schneemobilen gespurten Pfad. Der richtige ist es aber noch nicht, wie sich herausstellt. Das bedeutet Kehrtwende und dann querfeld ein in Richtung Bergkuppe (an deren fuss unsere nächste Hütte liegen soll). “Ab durch den Tiefschnee!”, heisst also das Kommando. Über mehrere Stunden ziehen wir so über die Tundra und durch die Wälder. Nach einer warmen Zwischenmahlzeit à la Toscana machen wir uns auf,um unsere erste Anhöhe zu nehmen. Endlich können wir uns, dank erweiterter Sicht, wieder orientieren. Der Weg ist nun klar. Die Sonne sinkt langsam, es wird merklich kühler. Als wir endlich wieder einen mit Kreuzen markierten Weg erreichen, treffen wir auf zwei Schneemobile. Bis zur Hütte sei es nicht mehr weit, wird uns von ihnen versichert. Nach 4km erreichen wir sie dann. Feuer hatten die Schneemobilfahrer uns schon gemacht.Nun kann ich meine Jacke auch wieder öffnen, denn der Reißverschluss ist aufgetaut. Nach einer ausgewogenen Mahlzeit und einer Ganzkörperwäsche im Schnee begeben wir uns zu Bett. Einziger Wehrmutstropfen: unser HiTec Kompass ist uns im Kampf mit den Elementen verloren gegangen.

Draußen sind heute Morgen -24°C. In unserer modischen und gut gedämmten Blockhütte sind es nach morgendlicher Heizaktion +20°C. Am Himmel ist kein Wölkchen zu sehen. Man kann seinen Blick weit in die Ferne schweifen lassen. Wie schön die winterliche Fjälllandschaft doch ist. Nach den üblichen morgendlichen Vorbereitungen machen wir uns für unser heutiges Etappenziel,einer 13km entfernten Hütte,bereit. Über das verharrschte Eis auf dem Fjäll kommen wir gut voran, da wir nicht einsinken. Die Pulkas sind auch besser gepackt. Das einzige Manko ist der Wind, welcher einem kalt ins Gesicht bläst. Stehen bleiben können wir nicht,da es ohne Bewegung viel zu kalt ist. Trotz meiner großen Anzahl von Kleidungsstücken (frei nach dem berühmten Zwiebelprinzip), gibt es genug Stellen, an denen ich friere. Meine Digitalkamera gibt bei diesen Temperaturen auch den Geist auf (das Thermometer zeigt -12°C ,aber duch den Wind…). Unser Weg schlängelt sich durch ein kleines Tal immer weiter hinab. In der Ferne kann man schon die nächste Bergkette erkennen. Der Ausblick ist einfach grandios. Nach nur vier Stunden Reisezeit erreichen wir unser Tagesziel. Es handelt sich um einen regelrechten Hüttenkomplex, zu unserer Freude mit Sauna. Essen, Sauna, Chillen. Mehr ist heut nicht drinn. Innen: +90°C, außen: -17°C. Wer hat das schon, eine finnische Sauna mit Holzofen, mitten in Lappland? Als Abkühlung ist genug Schnee vorhanden, wir hätten zwar auch ein Loch in den See schlagen können, aber…

Heute bin ich wieder mal mit Pulka ziehen dran. So langsam haben wie den Bepackungsdreh raus. Die Temperatur hat wieder ihren klassischen Wert von gestern angenommen. Zunächst schlängelt sich der Weg durch ein Tal, welches mit vereisten Felswänden verziert ist. Anschliessend durch einen, mit sibirische Fichten, gesäumten Wald. Wir haben uns heute für die Variante “Über die Berge” entschieden. Zu unserer Freude ist der Weg gespurt – jedoch nur bis zu einer Hütte. Also wieder das altbewehrte System. Mehrmals versinke ich ,trotz Schneeschuhen ,beim Spuren bis zur Hüfte im Schnee. Das Pulkaziehen wird zur echten Schwerstarbeit und ist bei vielen Passagen allein nicht mehr zu bewältigen. An der Waldgrenze angekommen, ist der Schnee endlich wieder verharrscht .Als Entschädigung für den beschwerlichen Aufstieg gibt es einen grandiosen Blick.

Man kann gut erkennen, wo wir uns heute durchs Tal bewegt haben und an welchen Stellen wir gestern über die Berge kamen. Nach kurzer Pause setzen wir den “Gipfelsturm” fort. Der Wind schlägt uns ins Gesicht. Es wird immer steiler. Weit und breit keine Flora mehr zu erkennen. Nur noch die vereisten Wegmarkierungen. Die Ausicht ist allerdings fantastisch. Der Blick reicht weit, weit … Auf dem 661m hohen Berggipfel angekommen, sind wir doch recht erschöpft, besonders die “Pulkazieher”. Durch die Kälte und den Wind ist niemand in der Lage die Ausicht lange zu geniessen. Beim Abstieg geht eine unserer Pulkas zu Bruch. Der rechte Verbindungsriemen, zwischen Geschirr und Schlitten, ist nach einem seitlichen Überschlag spurlos im weissen Nichts verschwunden. Als Ersatz muss ein Nylonisomattenriemen her. Noch ein schöner Knoten und weiter geht die Fahrt. Unsere “Abkürzung”, um einen weiteren Aufstieg zu umgehen, zieht sich an der rechten Bergflanke entlang. Die Pulkas verlassen in regelmässigen Abständen die Spur und ziehen einen nach unten. Die Sonne, welche eh nie sehr hoch steht, verschwindet hinter einem Berg und schon wird es kälter. Weit kann es nicht mehr sein, aber wir müssen noch einmal bergauf. Ich zähle die Wegmakierungen bis oben, es sind genau zehn. Also Pulka ziehen und zählen.

In der Hütte wir der Ofen erst mal richtig angeheizt. Nach einer halben Stunde kann man schon im T-Shirt dasitzen. Als Abendüberraschung gibt es noch eine ganz besondere nordische Spezialität: Nordlichter. Erst schien es, als würde nur ein Lichtkegel über dem Himmel leuchten. Doch dann begann es stark zu flimmern und die Form zu verändern. Plötzlich kamen zu dem schwachen bläulichen Licht auch noch grün und ein Hauch von rot hinzu. All das veränderte sich in windeseile. So etwas muss man wirklich mal gesehen haben; unbeschreiblich. Für alle, die es nicht mehr wissen: Nordlichter oder auch Polarlichter (Aurora borealis) enstehen durch das Auftreffen von Teilchen des Sonnenwindes auf die Erdatmosphäre. Es sind hauptsächlich Elektronen, aber auch Protonen, Alpha-Teilchen und einige schwere Ionen, welche auf die oberen Schichten der Erdatmosphäre treffen. Dort regen sie die vorhandenen Luftmoleküle zum Leuchten an. Möglich ist dies aufgrund der Magnetfelder, welche nur in der Nähe der Pole senkrecht zur Erde verlaufen und somit den Eintritt der Teilchen in die Atmosphäre ermöglichen.

Nach einer angenehmen Nacht in einer gut beheizten Hütte beginnt der Morgen ,wie gewöhnlich,mit Müsli und Kaffee bzw. Tee. Der Himmel ist heute verhangen. Man kann keinen Unterschied mehr zwischen “Himmel und Erde” ausmachen. Das Multifunktionsanzeigegerät gibt den Wert -15°C an. Ich drückte mich heute vor dem Pulkaziehen, also übernahm ich das Spuren entlang der Bergflanke.

Nach Abstieg ins Tal wartete eine Bachüberquerung auf uns. Das Gewässer hatte sich tief in den Boden gefressen und auf beiden Uferseiten so steile Wände hervorgebracht, welche nun von Schnee überragt wurden,sodass regelrechte Schneewächten entstanden sind. Diese galt es zu überqueren. Im geschickten Rückwärtsfahren und Schneflugtechnik bewältigten wir den Abstieg mit Pulkas. Hinauf ging es dann mit vereinten Kräften.Wir rutschten zwar im Pulverschnee immer wieder weg, aber irendwie schafften wir es trotz alledem hinauf zu kommen. Jetzt nur noch stupide den Wegkreuzen folgen. Ein Ende war nicht in Sicht.Aufgrund des verhangenen Himmels konnte man sowieso nicht weit schauen. Also immer schön in kleinen Wegpfeiler-etappen langsam vorwärts bewegen. Schier endlos schien uns dieser trostlose Pfad, welcher stellenweise nur noch über Geröll führte, da dem Wind hier oben kein Hinternis entgegengebracht wurde und der schnee kein Halten fand. Wir wechselten uns mit dem Ziehen der Pulkas regelmässig ab, da es doch ein recht energie aufwendiges Unterfangen war. Bei der Kammüberquerung, welche wir nach endlosem Marsch erreichten, verbesserte sich das Wetter schlagartig. Die Sonne schien wieder. Der Horizont lichtete sich. So blieb uns der Blick auf Pallas (ein wunderschöner Wintersportort) nicht verwehrt. Die Lifte waren offensichtlich alle außer Betrieb. Ausser drei sichtlich neugierden Personendie mit Skiern unterwegs waren, war weit und breit keine Menschenseele auszumachen. Weiter hinten im Tal konnte man den Hotelkomplex und die Information des Nationalparks erkennnen. Hier wärmten wir uns auf, genossen einen Kaffee und sahen eine “wunderschöne Slidshow” über den Park. Halb aufgetaut machten wir uns wieder auf den Weg. Die Hütte, ein klassicher Rundbau, war nur noch wenige Kilometer entfernt. Vom Wintereinbruch überracht, waren die Renovierungsarbeiten eingestellt wurden. Das Dach halb fertig. Ein Ofen war provisorich auf die ehemalige Feuerstelle trapiert worden. Alles in allem machte er einen nicht allzu robusten Eindruck. Trotz intensiver Bemühungen konnten wir die 11°C Marke nicht knacken. Aber somit kam man mal wieder in den Genuss beider Schlafsäcke kommen. Am Abend gesellten sich noch zwei Finninnen zu uns,welche mit Bachcountryskiern unterwegs waren. Sie glänzten mit ihren Englischkentnissen und so erfuren wir einiges über Land und Leute. Auch diesen Abend wurden wir wieder mit Polarlichtern beglückt, leider nicht ganz so beeindruckend wie am Vorabend.

Wie sollte es auch anders sein. Die Finninnen waren natürlich vor uns auf den Beinen. Also war an Schlaf für mich nicht mehr zu denken. Bei meiner allmorgendlichen Waschung stellte ich fest, dass die Aussentemperatur erheblich zugenommen hatte, um genau zu sein waren es nur noch -4°C. Also leichte Kleidung und nur noch ein paar Handschuhe.

Nach einer Standarttiefschneequerung erreichten wir nach ca. einer Dreiviertelstunde einen, mit Hilfe von Pistenraupen, gespurten Weg. Es erinnerte alles ein wenig an zu Hause. Alles so gut ausgebaut! Da verliere man gleich ein wenig die Lust am Laufen. Nach längerem stupiden Folgen der unübersehbaren Spur erreichten wir den See, an dessen Ufer unsere letzte Hütte stehen sollte. Alle mobilisierten noch einmal ihr Kräfte, denn irgendwie war bei uns der Wurm drinne (obwohl die heutige Etappe nur 15km zählte), um über den zugefrorenen See zu gelangen. Die Hütte stellte sich als klein aber fein heraus. Mit wunderschöner Aussicht auf den See. Bald bekamen wir Besuch von einer Schweitzer Langlaufgruppe, die sich ein wenig in der gut beheitzten Hütte aufhielten. Sie informierten uns darüber, dass morgen die Nullgradgrenze überschritten werden sollte… also würde es tauen. Wir verbrachten den Abend mit Essen und einem ganz besonderen Ereignis: einem Bad im nicht zugefrorenen Bach. Einziger Nachteil, man musste eine Strecke von 150 Metern zurücklegen.Den Rückweg im Sprint. Ein Unterfangen, welches nur mit Schneeschuhen möglich war. …das Bad war doch recht frisch. Ich hatte den Eindruck, meine Füsse im Bach stehen gelassen zu haben.Gefühl war jedenfalls keins mehr vorhanden. War aber mit Hilfe des Ofens in unserer Behausung kein Problem.

Nach einer Nacht auf der Veranda (aus Platzgründen hatten wir zu zweit vor der Hütte genächtigt), begann unsere letzter Tag im Land der Sámi. Die Temperatur war auf +1°C gestiegen. Was zur folge hatte, dass der Schnee pappte. Man hatte ausserdem das Gefühl, dass die Handbremse der Pulkas vergessen wurde zu lösen. Das erste Ziel war klar definiert. Über den See. Kein Problem. Den Weg auf der anderen Seite zu finden, das war schon ein Problem. Nirgendwo waren Zeichen ausfindig zu machen. Also… mit Kompass und Karte querfeldein. Durch den Tiefschnee. Nach endlosem Aufstieg erreichten wir endlich die auf der Karte versprochene Ebene. Und siehe da, eine Loipe. Ab in das Tal, übern See und dann auf die Strasse. Bis zum “Hoteli Jeris”, welches das Ende unserer Reise darstellte.

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